Ich stritt heute Morgen, vor meinem Motorradunfall, vor der Schule, frisch nach den Albträumen, mit meiner Mutter. Wieso? Ich selbst begreife es auch erst jetzt.
Ich habe sie zur Rede gestellt und ihr erklärt, dass ich ihren Freund nicht in unserem Haus akzeptieren kann. Er will den Platz meines Vaters zwar nicht einnehmen, dennoch tut er es. Ich erklärte ihr, wie sehr es mich jeden Morgen verletzt. Wie sehr es an meinen schwindenden Kräften zehrt.
Unser Gespräch artete aus. Sie warf mir vor, dass ich ihn nur als Ausrede verwende, um sie zu hassen. Ich verstand nicht. Dann schrie sie mich an und sagte, dass sie mich doch schon lange verloren hat und nun Niemanden mehr hat. Auch jenes konnte ich nicht nachvollziehen, da ich doch immer da war. Mit aller Kraft, die ich hatte.
Dennoch war das der Moment, in dem ich merkte, wie sehr ich meinen Vater vermisse. Ich habe nie meine gesamte Trauer rausgelassen. Ich fing an zu weinen. Seit langem konnte ich wieder weinen. Ich liess es raus und begriff mit jeder Träne, dass mein Vater nie zurückkommen wird. Ich hatte immer das Wunschdenken, dass wenn ich am Morgen aufstehe mein Vater in der Küche sitzt und Kaffee trinkt. Ich würde mich mit einer Tasse heisser Schokolade zu ihm setzen und ihn fragen, wie es ihm denn geht. Wir würden reden, bis ich mich wieder sputen muss, damit ich den Bus nicht verpasse.
Was mich jedoch jeden Morgen in der Küche erwartet ist ein alter Mann, der meinem Vater nicht im Geringsten gleicht. Er wechselt keinen Ton mit mir und raucht unsere ganze Küche zu. Am liebsten hat er es, wenn man ihn gar nicht anspricht. Der Partner meiner Mutter. An meines Vaters Platz.
Jeden einzelnen Morgen schmerzt es. Jeden verdammten Morgen muss ich mir das antun. Das ist, als würde man auf seinen Geburtstag ein Stück Kohle bekommen. Dreckigschwarze Kohle.
Alle Wünsche und Träume sind zerstört. Am liebsten will ich an solchen Tagen, an denen es mir wieder stärker bewusst wird, einfach nur zurück in mein Zimmer gehen, mich in meine Decke einkuscheln und weinen. Weinen, bis ich nicht mehr kann. Bis alle Tränen draussen sind und ich vollkommen ausgetrocknet bin.
Aber ich kann nicht. Ich muss weitermachen. Meine Tagesstruktur einhalten und mit einem Grinsen auf dem Gesicht zur Bushaltestelle fahren. Mit einem Grinsen den Tag überleben und mit nassen Augen und einem erschöpften Körper die Nacht beginnen, in welcher ich auch kämpfen muss. Kämpfen mit meinen Albträumen, die nicht vergehen wollen, nicht verblassen. Jedes Mal gleich stark auf mich zu rasen und mir die Luft zum Atmen abschnüren.
Ja, ich bin erschöpft. Sehr sogar. Ich bin kein Roboter, auch mir geht irgendwann einmal die Kraft aus. Und jener Zeitpunkt drückt sich immer mehr in die Nahe Zukunft.
Ich fürchte mich jetzt schon vor dem Tag, an dem ich einfach nur zusammenklappe und eine leblose Hülle werde. Erschöpft. Müde. Traurig. Verletzt.
Ich weiss nicht, ob mir jemand wieder auf die Beine helfen kann, sobald ich es aufgegeben habe zu kämpfen.
Mit Tränen in den Augen, T.